Homeschooler kämpfen oft mit zwei spezifischen, grossen Vorurteilen: die Sozialkompetenz (darüber habe ich hier und hier bereits geschrieben) und die (Un-)Möglichkeit von Anschlusslösungen nach dem Homeschooling, d.h. nach der obligatorischen Schulzeit. Je älter meine eigenen Kinder werden, desto öfter komme ich in Kontakt mit Jugendlichen, die ihre Homeschool-Zeit beendet und erfolgreich eine Anschlusslösung gefunden haben, sei es den Übertritt ins Gymnasium geschafft oder eine Lehre bekommen haben. In diesem Post kommen drei 15-jährige Jugendliche zu Wort, die diesen Übertritt diesen Sommer machen bzw. gemacht haben.

Weshalb wurdet ihr zu Hause unterrichtet?
Malin wuchs mit ihrem Zwillingsbruder und zwei jüngeren Zwillingsschwestern auf. Als die älteren Zwillinge im Kindergarten waren und die jüngeren Mädchen geboren wurden, war der Alltag für die Familie zunehmend vom Stress geprägt. Aus diesem Grund beschlossen die Eltern, die älteren Geschwister aus dem Kindergarten zu nehmen, um das Leben als sechsköpfige Familie etwas ruhiger anzugehen, ohne Fremdbestimmung und Druck von aussen.
Stefan (Name geändert) wurde in der 4. Klasse von seinen Eltern aus der Schule genommen, um ihm Lernen im eigenen Tempo, ohne (Prüfungs-) Druck und ohne einen starren und straffen Stundenplan zu ermöglichen.
Lukas (Name geändert) erlebte bereits im zarten Kindergartenalter eine Art „Lebenskoller“ aufgrund von Unterforderung und zu wenig Struktur im Kindergarten. Unter anderem aus diesem Grund entschieden sich seine Eltern dazu, ihn und seinen älteren Bruder aus dem Kindergarten bzw. aus der Schule zu nehmen.
Wie sah das Homeschooling bei euch zu Hause aus?
Das Homeschooling bei Malin zu Hause kann man eher als strukturiert bezeichnen. Da sie immer recht ring lernte, wurde sie dementsprechend von den Eltern gefördert. Sie nahm zusammen mit ihrer Mutter Latein in der Migros Klubschule, absolvierte drei Cambridge Prüfungen in Englisch (KEY, PET und First) und wurde immer dazu ermutigt, nicht nur das Minimum zu machen, sondern sich Mühe zu geben. Auch unternahm die Familie viele Exkursionen und ging sie viel auf Reisen, um das Lernen ganz praktisch zu gestalten.
Bei Stefan standen in der Primarschule vor allem das Spielen und intrinsisches Lernen im Vordergrund. Auch noch mit 11 und 12 Jahren spielte Stefan viel und ausgiebig und bekam dafür auch die Zeit. Die Familie traf sich auch mehr oder weniger regelmässig mit anderen Homeschoolern, um zusammen etwas zu unternehmen (z.B. basteln oder gärtnern). Erst ab der Oberstufe hatte er einen relativ geregelten Lernrhythmus.
Auch bei Lukas war das Homeschooling ziemlich strukturiert und war der Schulanfang meistens morgens um zehn vor acht. Dafür waren die Schulstunden dann um ca. halb zwölf schon beendet und war der Nachmittag frei für Spiel, Sport, Musik, Gestalten, Ämtli und eigenen Interessen.

Was hat euch am besten gefallen im Homeschooling?
Sowohl Lukas wie auch Malin gefiel es sehr gut, dass sie selbständig und im eigenen Tempo arbeiten und sich die Aufgaben selber einteilen konnten. Auch fanden es beide toll, dass sie viel Freizeit hatten und somit Zeit für Freunde und eigene Interessen. Lukas ergänzt: „Ich schätzte es besonders, dass ich so lange an einem Thema dranbleiben konnte, bis ich es begriffen hatte.“
Stefan ist froh, dass er gänzlich ohne Leistungsdruck lernen konnte. Für Malin war es auch besonders schön, viel Zeit mit ihrer Familie, insbesondere mit ihren Geschwistern verbringen zu können. „Ich genoss vor allem die Familienreisen und werde diese in der nächsten Zukunft besonders vermissen.“
Gibt es etwas, was euch am Homeschooling nicht so gefallen hat?
In erster Instanz kommt den Jugendlichen auf diese Frage nichts in den Sinn. Dann sagt Stefan aber, dass ihm manchmal Freunde etwas gefehlt haben. Malin sagt, dass sie es manchmal schwierig fand, sich selber einzuschätzen, ohne Noten und damit kam eine gewisse Unsicherheit auf in Bezug auf die Zukunft. „Ich war mir zwar ziemlich sicher, was ich wusste und konnte im Vergleich zu meinen Freunden und Freundinnen in der Volksschule, aber dies musste ich dann halt leider an nur einem einzigen Tag an der Kantiprüfung unter Beweis stellen.“ Zum Glück klappte das dann aber hervorragend. Auf die Frage, wie sie mit der Aufnahmeprüfung umgegangen sei, wenn sie ja fast keine Prüfungserfahrung hatte, sagte Malin, dass sie das überhaupt nicht gestört hatte. „Die mangelnde Prüfungserfahrung diente ja schliesslich auch dazu, dass ich gar nie eine Prüfungsangst entwickeln konnte. Ich hatte mich gut vorbereitet und schliesslich war die Prüfung auch nicht anders als das Lösen von Aufgaben in einem Arbeitsbuch, ausser, dass halt am Schluss das Resultat besonders zählt.“

Was ist eure beste Erinnerung aus eurer Homeschool-Zeit?
Malin ist sich sicher: das Reisen (auf der ganzen Welt) mit der Familie. Für Lukas ist es auch klar: seine eigenen Basteleien und Projekte. Stefan gefiel ganz allgemein, dass er viel Freizeit hatte und sich die Zeit selber einteilen konnte.
Was werdet ihr als nächstes machen?
Stefan und Lukas haben Anfang August beide mit ihrer EFZ Lehre angefangen. Stefan als Informatiker und Lukas als Automatiker. Beide hatten keine sonderliche Mühe, eine Lehrstelle in ihrem Wunschberuf zu finden.
Malin bestand im Frühjahr die Aufnahmeprüfung für die Kantonsschule (Gymnasium) und wird am Montag ihr 10. Schuljahr an der Kanti anfangen.
Wie hat das Homeschooling euch für das vorbereitet, Was ihr jetzt im neuen Lebensabschnitt machen werdet?
Stefan meint, weil er immer viel Zeit mit Erwachsenen verbrachte, merkten andere bereits vor ein paar Jahren, dass er reifer wirke als andere in seinem Alter. „Die Zeit im Homeschooling und die Sozialisierung mit Erwachsenen als Einflusspersonen hat mich gut auf die Lehre und auf das Erwachsenwerden vorbereitet.“
Malin sagt, dass sie sehr gut gelernt hat, selbständig zu arbeiten und sich selber zu motivieren, was wohl am Gymnasium dann auch verlangt wird. Auch ist sie überzeugt, dass ihre Sozialkompetenzen sehr gut sind, weil sie ohne Gruppendruck aufwachsen konnte und sich so gemäss ihrer eigenen Persönlichkeit entwickeln konnte. „Es ist oft viel angenehmer, mit Homeschool-Kindern zusammen zu sein, weil sie niemandem etwas beweisen müssen. Sie dürfen sich selber sein und sind oft respektvoller,“ sagt sie.
Welchen Rat würdet ihr anderen Jugendlichen geben, die noch Homeschooling machen?
Malin: „Es ist einfach, zu Hause manchmal alles etwas schleifen zu lassen. Aber lasst das nicht zu! Denkt daran, ihr lernt ja für euch selbst, nicht für irgend jemand anders, auch nicht für eure Eltern! Wenn ihr selber Interessen entwickeln und denen nachgehen könnt, dann macht das Lernen Spass! Geniesst die Zeit im Homeschooling, ehe sie dann endgültig vorbei ist! Wenn ihr auch ans Gymnasium möchtet, dann übt unbedingt an den Beispielaufnahmeprüfungen, die ihr im Internet finden könnt und arbeitet dann gezielt an den Themen, in welchen ihr noch Schwierigkeiten habt. Wenn ihr euch für eine Lehre bewerben möchtet, dann nehmt telefonisch Kontakt auf mit dem Lehrmeister und erklärt ihm über das Homeschooling. Bei meinem Bruder waren die Arbeitgeber dem Homeschooling gegenüber durchwegs positiv eingestellt!“ (Malins Bruder hat Anfang August eine Lehre in seinem Wunschberuf in der Credit Suisse angefangen.)
Ich bin diesen drei offenen Jugendlichen sehr dankbar für ihre Zeit, meine Fragen zu beantworten und wünsche ihnen alles Gute für diesen neuen Lebensabschnitt und ihre Zukunft. Ich werde auch zukünftig Homeschool-AbgängerInnen interviewen und hier im Blog über ihren Werdegang berichten.
Vielen Dank für diesen Artikel. Er ist mir hilfreich. Das Thema interessiert mich, da auch meinen Kinder in der Zukunft ein Übertritt vom Heimunterricht eine öffentliche Schule bevorsteht.
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Es kommt gut! Je mehr Homeschool-AbgängerInnen ich interviewe, desto mehr bin ich überzeugt: die machen ihren Weg!
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