Diese Frage wurde ich in den vergangenen paar Wochen ziemlich oft gefragt. „Ihr seid fertig mit Homeschooling. Wie fühlt sich das an? Was machst du jetzt mit deiner freien Zeit?“ Diese und andere Fragen haben mich dazu bewegt, einen weiteren Blogpost zu schreiben, um zu erklären, wie es nun bei uns „nach dem Homeschooling“ aussieht.
Lehrstart
Tatsächlich hat Yanis am 2. August seine Informatiklehre bei der Post angefangen. Er hat nun also bereits drei Wochen hinter sich. Angefangen hat er mit einem „Jump-In“, einem Lager in Fiesch. Danach folgte eine Woche im ICT Campus der Post. Letzten Montag, als viele von euch den „Not-Back-to-School-Day“ feierten, hatte Yanis den allerersten „Back-to-School-Day“ in seinem Leben! Die ersten beiden Tage in der Berufsschule haben ihm sehr gut gefallen. Ist halt schon spannend, so zum ersten Mal die Schulbank zu drücken und mit Klassenkameraden unterwegs zu sein.
Yanis ist bis jetzt begeistert von seiner Lehre und erzählt jeden Tag, was er in der Schule oder im ICT Campus gelernt hat (wir verstehen bloss einen kleinen Teil davon! 😉 ). Er ist in seinem Element und lernt nun, was ihn fasziniert und kriegt eh noch einen Lohn dafür! Gerne halte ich euch ab und zu auf dem Laufenden, wie es einem Homeschooler, der noch nie in der Schule war, in der Lehre so geht.

„Nach dem Homeschooling“ ist nur bedingt der Fall
Während Yanis also tatsächlich fertig ist mit dem Homeschooling, ist Olivia wieder zurück zu Hause! Olivia haltet nach wie vor an ihrem Traum, Grafikdesignerin zu werden, fest. Da es aber im Kanton kaum Lehrstellen dafür gibt und sie letztes Jahr auf unserer Reise in Amerika gehört hat, dass sie an einer amerikanischen Universität online einen Bachelor in Grafikdesign machen könnte, haben wir uns nun dies zum Ziel gesetzt. Es ist uns aber bewusst, dass dies überhaupt nur eine Möglichkeit ist, da sie fliessend Englisch kann.
Vor der Universität sind aber zuerst noch zwei Jahre High School fällig. Olivia hat demnach am 31. Juli mit ihrem 11. High School Jahr angefangen. Sie ist offiziell an einer online High School in Amerika registriert. Dazu musste ich sowohl für die 9. als auch für die 10. Klasse sogenannte „Transcripts“, also Zeugnisse, einschicken. Das Zeugnis der 9. Klasse wurde anstandslos als Homeschooling-Zeugnis angenommen, das ist in Amerika an den Universitäten bekannt und wird komplett akzeptiert. Das Zeugnis der 10. Klasse wurde von der amerikanischen High School Clonlara ausgestellt und beinhaltete die Fächer, die Olivia im vergangenen Schuljahr am Vorkurs Kunst und Design an der Schule für Gestaltung hatte. Das heisst, das Zeugnis für das 10. Schuljahr beinhaltete nur Wahlfächer (in Kunst) plus Englisch, welches wir neben der Schule abends zusammen gemacht haben.
Um nach der 12. Klasse mit einem High School Diplom abschliessen zu können, muss Olivia in den nächsten zwei Jahren bestimmte Pflichtfächer absolvieren, wie z.B. Mathematik, Englisch und naturwissenschaftliche Fächer.
High School vs. Homeschooling
Vor drei Wochen hat Olivia also mit Biologie, Geometrie, amerikanische Geschichte und einem weiteren High School Fach, „Academic and Career Success“, angefangen. Dabei gibt es einige grosse Unterschiede zum traditionellen Homeschooling wie wir es gemacht haben. Erstens bekommt Olivia unglaublich viele Noten. Sie hat Hausaufgaben, „Reviews“, Quizze, Tests und Quartalsexamen. Für alles wird sie in Prozentzahlen – und anschliessend in Grades – bewertet. Für jemanden mit Prüfungsangst ist das ganz schön herausfordernd, aber vielleicht genau die Therapie, die sie braucht, um diese Angst loszuwerden. Bis jetzt macht sie es in allen Fächern ausgezeichnet.
Zweitens muss Olivia sehr viel lesen. Trockene Materie lesen ist nicht, was wir im Homeschooling oft gemacht haben. Alles auf Englisch ist auch nicht wenig herausfordernd. Auch muss sie lernen, vom Gelesenen brauchbare Notizen zu machen, um diese für die Prüfungsvorbereitung zu benutzen. Das sind alles Sachen, die jetzt einen steilen Lernpfad fordern, aber für die Zukunft sehr wichtige Fähigkeiten sind.
Drittens muss Olivia nun Fächer nehmen, die sie nicht unbedingt interessieren, wie z.B. amerikanischen Geschichte. Das ist natürlich nicht ganz einfach für die Motivation, aber ich denke für zwei Jahre gut zum Aushalten.

Mit 16 Jahren an die Uni
Das Besondere am amerikanischen Schulsystem ist, dass die Jugendlichen ab der 11. Klasse auch bereits Uni-Kurse belegen können, die dann sowohl für den High School Abschluss als auch für die Universität gelten. Damit schafft man zwei Fliegen auf einen Schlag und spart sowohl Kosten als auch Zeit. Olivia kann etwa 36 sogenannte „Credits“, was ungefähr 12 Fächer bedeutet, für die Uni bereits in der High School absolvieren. Das bedeutet mindestens ein Jahr weniger an der Uni! Wenn also alles gut geht, schliesst Olivia 2025 ihren High School Abschluss ab und 2-3 Jahre später ihren Bachelor in Grafikdesign. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg!
Morgen fängt nun der erste achtwöchige Unikurs an. Wir konnten den Kurs bereits einsehen. Es gibt wieder viel zum Lesen und ausserdem Quizze, vier Aufsätze und Diskussionsforen mit anderen High School SchülerInnen und UnistudentInnen. Wir sind gespannt, wie das wird.
Colearner im Coworking Space
Damit Olivia die nächsten fünf Jahre oder so nicht einfach nur zu Hause vor dem Computer sitzt, geht sie zweimal pro Woche in einen Coworking Space, wo sie als „Colearnerin“ (siehe auch diesen Beitrag) unter die Menschen kommt, an ihren eigenen Projekten arbeiten kann und auch mal mit anderen Colearnern und Coworkern zusammenarbeiten kann. Am liebsten würde sie auch einen Nebenjob haben, um etwas Geld zu verdienen, aber wir müssen zuerst in unserem neuen Alltag ankommen und schauen, ob sie überhaupt noch Zeit übrig hat für einen Job.
Natürlich ist das Ziel, dass Olivia alles selbständig macht, aber das ist im Moment nicht realistisch. Das heisst, dass ich sie zurzeit kräftig unterstütze, obwohl ich eigentlich „fertig“ bin mit dem Homeschooling. Wir lesen das Lernmaterial zusammen, vor allem um sicherzustellen, dass sie alles begreift. Auch zeige ich ihr, wie sie gute Notizen machen kann und wie sie damit für Tests lernen kann. Aber ich denke, dass sie mich mit der Zeit immer weniger brauchen wird. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt. Da Olivia aber einen besonderen Weg geht, den sicher nur die wenigstens in der Schweiz gehen können, werde ich euch über ihren Weg nur auf dem Laufenden halten, wenn ich von eingen höre, dass es sie interessiert. Ansonsten könnt ihr mich ja auch hin und wieder persönlich fragen!

Ein sehr spannender Einblick in zwei sehr verschiedene Wege nach der offiziellen Schulzeit! Sehr gerne würde ich hören wie es bei euch weiter geht. Und wie sieht denn ein Homeschooling-Zeugnis aus?
LikeLike
Danke! Also, dann halt ich euch hin und wieder auf dem Laufenden. Bzgl. Homeschooling-Zeugnis auf amerikanische Art kann ich dir per Mail evtl. ein Exemplar zeigen. Bitte per Kontaktformular anfragen, danke.
LikeLike