Wenn es mal bockt…

Ja, es gibt sie vielleicht: die Familien, in denen die Kinder nie einen Trotzanfall haben, immer lern- und wissbegierig sind, die perfekten Freilerner sind, die ganz freiwillig Mathematik und Französisch lernen, weil sie Spass daran haben und so ganz automatisch und zufrieden den Lehrplan einhalten. Ja, es gibt sie vielleicht. Aber ich kenne sie nicht.

Die Familien, die ich hingegen kenne, erleben immer wieder mal Tage, an denen es bockt. Oder besser gesagt: Tage, an denen die Kinder bocken, an denen die Einstellung einfach nicht stimmt. Es zeigt sich in verschiedene Variationen: „Ich hasse Mathe!“ „Muss ich das unbedingt machen?“ „Ich bin soooo müde. Müssen wir heute Schulaufgaben machen?“ Oder manchmal ganz einfach: „Ich KANN das einfach nicht!!“

Wenn unsere Kinder rebellieren und einfach keine Schulaufgaben machen möchten, kann das Homeschooling von einem spannenden Abenteuer zu einem mühsamen Kampf machen. Und leider gibt es in diesem Kampf keine Gewinner. Die Kinder schmollen, die Eltern ärgern sich, die Arbeit wird nicht gemacht und es wird nicht wirklich gelernt. Wenn dieser Kampf lange genug andauert, kann es das Familienleben und die Beziehungen beeinflussen. Für manche bedeutet es sogar, dass sie ganz mit Homeschooling aufhören. Glaub mir, ich weiss wovon ich spreche. Deshalb möchte ich in diesem Post etwas davon teilen, was ich in solchen Zeiten gelernt habe.

  • Als Allererstes, wenn du merkst, dass die Frustration anfängt, die Tränen formen und das Gesicht sich verzieht, dann STOP! Halt einfach bitte an. Es bringt gar nichts, mit so einer Einstellung weiterzumachen. Ob es nun der Tag ist oder das Fach oder was auch immer, nimm eine Pause, reflektiere, atme dreimal tief ein und evaluiere, was der Grund sein könnte.

Hier sind 10 Fragen, die ihr euch stellen könnt, wenn es bei euch bockt:

1. Bockt mein Kind immer beim gleichen Lehrmittel oder Fach? Evaluiere, wann die Frustration anfängt. Ist es immer um die gleiche Tageszeit? Es könnte das Lehrmittel (war bei uns oft der Fall) oder das Fach sein, aber auch die Tageszeit. Denk darüber nach und schreibe vielleicht sogar die Situationen auf, um herauszufinden was dein Kind triggert.

2. Gehen wir zu schnell oder versteht mein Kind das Konzept nicht? Wenn ja, dann ist die Lösung vielleicht ganz einfach, etwas langsamer zu gehen oder eine Sache anders zu erklären, um die Frustration deines Kindes zu vermindern.

3. Ist mein Kind unter- oder überfordert? Das ist genau der Knackpunkt bei Schnüggu. Wenn er bockt, muss ich mich selber an die Nase nehmen und zugeben, dass er mit den geplanten Aufgaben einfach gelangweilt und unterfordert ist. Es gibt nichts, was er mehr hasst, als Mathe-Aufgaben zu lösen, wenn er das Konzept längstens begriffen hat. Das macht für ihn einfach keinen Sinn. Und, ehrlich gesagt, für mich auch nicht. Wenn er es kann, kann er’s und muss nicht noch mehr üben. Also füllt er selten alle Aufgaben auf einer Mathe-Seite aus. Auch braucht er immer wieder Themen, die sein Hirn herausfordern und die ihn brennend interessieren, auch wenn das Fächer/Themen sind, die normalerweise viel später kommen, z.B. Technisches Zeichnen, Technik, Programmieren usw. Das Gegenteil ist natürlich auch wahr. Nichts kann ein Kind so frustrieren und blockieren als pure Überforderung. Es kann gut sein, dass dein Kind in Mathematik den Stoff der 3. Klasse locker schafft, doch im Schreiben noch eher auf 2. Klassenniveau ist. Das ist ja das Praktische am Homeschooling. Wir können auf dem individuellen Niveau unserer Kinder arbeiten und müssen sie dabei nicht unter- oder überfordern.

4. Nehme ich Rücksicht auf den Lerntyp meines Kindes? Ein praktischer Lerner wird durch Arbeitsblätter schnell gelangweilt und lernt nicht so effektiv dabei. Es ist wichtig, dass wir Techniken und Methoden brauchen, die dem Lerntyp unseres Kindes entsprechen, damit es aufmerksam und engagiert bleibt. Dies bedeutet auch, dass wir Ablenkungen beseitigen. Vielleicht ist dein Kind ein auditiver Lerner und seine kleinen Geschwister spielen laut neben ihm. Oder sie ist eine visuelle Lernerin und findet es schwierig, ihre Augen auf die Aufgabe zu fokussieren, weil es so viel anderes hat, was sie ablenkt. Vielleicht ist er ein kinästhetischer Lerner und hat nichts zu TUN während er arbeitet. In Google könnt ihr über die vier Lerntypen recherchieren, oder zum Beispiel auf dieser Website. (Ich plane in Zukunft noch ein Post über dieses Thema).

lerntypen

5. Ist dieses Lehrmittel das Beste für die Fähigkeit und den Lernstil meines Kindes? Eines der grössten Vorteile des Homeschoolings ist, dass wir das Lehrmittel dem Lerner anpassen können statt umgekehrt. Ein anderes Lehrmittel kann genau den Unterschied ausmachen in der Einstellung und dem Selbstvertrauen des Kindes zu seinem/ihrem Lernprozess. In den vergangenen Jahren experimentierten wir immer wieder mal mit verschiedenen Lehrmitteln und ja, das bedeutete manchmal auch, dass wir halbwegs im Jahr ein Lehrmittel wegliessen und ein anderes versuchten. Es möge sein, dass das auch Nachteile hat, z.B. wenn uns ein Lehrmittel von einem anderen Kanton besser gefällt, als das gängige Lehrmittel in unserem Kanton. Das könnte den Anschluss an die Schule evtl. erschweren. Doch falls die Kinder je wieder einmal in die Schule gehen würden, dann lösen wir das mögliche Problem dann. Mir ist es wichtiger, dass den Kindern ihr Lehrmittel jetzt gefällt und es gut zu ihnen passt. So haben wir z.B. auch ein anderes Lehrmittel in Mathematik für Schnüseli als für Schnüggu. Und obwohl ich das Mathematik-Lehrmittel vom Zürcher Lehrmittelverlag sehr gut finde, merkte ich, dass das logisch-Lehrmittel vom St. Galler Lehrmittelverlag besser zu ihm passt.

6. Ist das Homeschooling zu sehr zur Routine geworden? Es ist einfach, uns im Homeschooling auf ausgefahrenen Gleisen zu bewegen und jeden Tag das Gleiche zu tun. Vielleicht wäre eine gewisse Änderung des Alltags bereits eine einfache Lösung oder Exkursionen könnten den Heimunterricht auch wieder interessant machen.

7. Bekommt mein Kind genug Schlaf, Ernährung und Bewegung? Auch dies sind alles Faktoren, die die Fähigkeit des Kindes zu lernen und seine Einstellung zum Lernen beeinflussen.

8. Hilft meine eigene Einstellung und mein Vorgehen meinem Kind beim Lernen? Oft tragen auch wir Eltern der Frustration unserer Kinder bei, ohne es zu realisieren. Es ist wichtig, dass wir optimistisch und ermutigend bleiben und uns über das Privileg freuen, zusammen mit ihnen diesen Weg zu gehen und zusammen zu lernen. Manchmal machen auch einige Worte des Lobes einen grossen Unterschied. Wenn wir selber ungeduldig und frustriert sind, kann das dazu führen, dass unsere Kinder total abschalten. Schnüseli muss ich zum Beispiel immer wieder loben und ermutigen, dass sie Mathematik KANN. Ich schenke ihren Unsicherheiten und Fehlern keine Aufmerksamkeit, aber helfe ihr schnell weiter und dann merkt sie, dass sie es eben doch kann. Das ist für sie und ihr Selbstvertrauen sehr wichtig.

9. Helfe ich genug? Wenn dein Kind im Kindergarten oder in der 1./2. Klasse ist, braucht es wohl viel individuelle Aufmerksamkeit. Wenn du mit ihnen eine Aufgabe beginnst und dann zum nächsten Kind gehst, könnte es sein, dass sie der Gedanke überwältigt, es alleine zu tun und einfach bocken. Ich weiss, was du jetzt sagst: „Ja, aber ich habe auch noch andere Kinder, die mich brauchen!“ Ich weiss! Aber vielleicht brauchst du eine kreative Idee, wie du doch zu individueller Zeit mit jedem Kind kommst, um den Heimunterricht effektiver zu machen für deine Kinder. Du hast sicher schon gemerkt, dass sie ihre Aufgaben viel schneller machen können, wenn du dabei bist, als wenn sie es alleine angehen.

10. Helfe ich zu viel? Wenn dein Kind in der 3. Klasse ist oder höher, versuch mal, ihnen etwas Freiheit zu geben. Vielleicht könntet ihr zusammen sitzen und zusammen anschauen, was gemacht werden muss und zusammen einen Wochenplan machen. Es ist oft so, dass sie mehr Verantwortung übernehmen, wenn sie im Planungsprozess mitreden konnten.

11. Hat mein Kind ganz allgemein eine negative Einstellung zum Lernen? Dann hilft es vielleicht, wenn du ihn für getane Arbeit irgendwie belohnst, z.B. „Erst eine Viertelstunde Mathematik, dann gehen wir in den Park“ oder „Erst zwanzig Aufgaben auf dem Blatt, danach im Lern-App“. Manche Kinder reagieren auch positiv auf Kleber oder wenn sie versuchen, etwas so schnell wie möglich zu machen (z.B. die Einmaleins-Reihen). Mathematik kann auch mit Spielen, Aktivitäten oder im Alltag geübt werden.

12. Habe ich genug vorbereitet? Ich merke immer wieder, wenn ich etwas nicht gut vorbereitet habe und versuche, das noch zu tun, während die Kinder arbeiten, dann werden sie nicht nur abgelenkt, sondern irgendwie wird es dann schnell chaotisch. Oder wenn ich versuche, noch etwas von meinen eigenen Aufgaben zu erledigen, werden alle unfokussiert. Wenn ich mir nicht die Zeit genommen habe, das Mittagessen zu planen und eventuell vorzubereiten, dann schwappt meine Frustration schnell auf die Kinder über. Klar, werden meine Kinder immer älter und können sie jetzt gut selbständig arbeiten und verstehen auch, wenn ich mal etwas erledigen muss. Doch auch sie haben es mit fast 10 und 11 Jahren am Liebsten, wenn meine Aufmerksamkeit voll und ganz bei ihnen ist.

Hast du ein bockendes Kind? Womit habt ihr zu kämpfen und welche einmaligen Lösungen habt ihr gefunden?

 

 

 

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