SpielPolitik – (letzter) Teil 3

Nach etlichen Monaten intensiver Vorbereitung ist SpielPolitik nun vorbei – oder wenigstens fast. Wir durften diese Woche drei besondere und interessante Tage in Bern zusammen verbringen. Wir – das waren vierzehn 8.- und 9.-KlässlerInnen (alle im Homeschooling) und zwei Leiterinnen. Leider war eine Schülerin krank und konnte nicht an den Projekttagen teilnehmen. Sie fehlte uns sehr und in einem Fall ganz konkret. 😦

Am Montag trafen wir nach Ankunft in Bern am Vormittag Berner Grossrat Samuel Kullmann und den Generalsekretär des Grossen Rates, Patrick Trees, zur einstündigen Führung im Rathaus. Herr Trees erklärte uns, wie der Grosse Rat auf kantonaler Ebene funktioniert, erzählte über Kommissionen und Fraktionen und führte so auch in das nationale Thema ein. Danach verbrachten wir die Mittagszeit bei schönstem Wetter auf der Münsterplattform, wo Herr Kullmann uns Red und Antwort stand. Als ehemaliger Homeschooler war er natürlich besonders interessant für unsere Jugendlichen. Fast jede und jeder hatte eine Frage und auch ein kleines regionales Geschenk für ihn vorbereitet.

Am Nachmittag ging es dann in den Käfigtum (an sich schon ein Erlebnis!), wo Ursula Näf von Schweiz debattiert! mit einem zweistündigen Debattier-Workshop auf uns wartete. Ihre erste Aufgabe, eine Minute lang die eigene Meinung über eine der drei anderen SpielPolitik Initiativen zu sagen, war für die Jugendlichen eine grosse Herausforderung. Die meisten wussten nach nur 20 oder 30 Sekunden nicht mehr, was sagen. Sie führte uns in die Methode der Trichterrede ein und schon wurde eine Minute ohne Probleme gut gefüllt. Anschliessend ging es in die eigentliche Debatte rundum unserer eigenen Milch-Initiative. Die Gruppe lernte, in je einer Minute pro und contra Argumente zu geben. Auch lernten sie, wie sie ihre Voten überzeugend präsentieren konnten („Geben wir unseren Landwirten und Landwirtinnen mehr Wertschätzung!“ „Sind wir dankbar für die enorm wichtige Arbeit, die sie tagtäglich für uns leisten!“). Dieser Workshop war eine wichtige Vorbereitung auf die kommenden Projekttage und gab den Jugendlichen das Rüstzeug für die kommenden Debatten.

Nach dem Workshop konnten wir unser Gepäck aus den Schliessfächern im Bahnhof holen und ging es ins Hostel77, wo wir die nächsten zwei Nächte verbringen würden. Wir bezogen unsere Zimmer und hatten ca. eine Stunde freie Zeit, ehe es zurück ins Stadtzentrum ging, wo die Jugendlichen ca. zwei Stunden in Gruppen durch Bern schweifen und etwas essen konnten. Danach stand unser Nachwächterrundgang an. Der Nachtwächter führte uns durch die (imaginären) dunklen Gassen des 17. Jahrhunderts, erzählte Schauergeschichten und erklärte, wie das Leben für die Bürger und Bürgerinnen in der Stadt Bern und für die Nachtwächter damals ausgesehen hatte. Es war eine spannende und interessante Führung, doch die ganze Gruppe war dann um 22 Uhr doch schon ziemlich erschöpft vom ganzen Tag und wir waren froh, als wir wieder zurück im Hostel waren (Nachtruhe war dann aber natürlich trotzdem nicht sofort!).

Am nächsten Morgen konnten wir nach dem feinen Morgenbuffet in einem Seminarraum des Hostels eine zweistündige Fraktionssitzung halten. Wir bereiteten unsere Voten für die kommenden Kommissionssitzungen vor und besprachen noch einmal, was unsere Fraktionsmitglieder im Namen der Fraktion in den Kommissionen einbringen sollten. Um 11 Uhr fuhren wir dann in die Stadt, assen ein frühes Mittagessen und trafen dann mit den anderen Klassen (eine aus Graubünden und zwei aus Lausanne) um 12 Uhr beim Käfigturm ein, wo das Spiel eröffnet wurde.

Der Kommissionspräsident unserer eigenen Fraktion (der Schweizer Homeschool Partei) hatte sich dazu entschieden, das Präsidium von der Pfand-Kommission zu übernehmen („Pfand auf PET und Glasflaschen, sowie Aludosen). Auch wir, erwachsene Leiterinnen, gingen also mit ihm und drei anderen Fraktionsmitgliedern in diese Kommission, um unseren Präsidenten und die anderen SchülerInnen zu unterstützen. Zuerst wurde eine Debatte lanciert und schliesslich ein indirekter Gegenentwurf erarbeitet. Dies war alles andere als einfach, da sich der indirekte Gegenentwurf auf Ebene des Umweltschutzgesetzes befand. Auch wurde entschieden, welche SchülerInnen in der Nationalratssession für die Kommission als BerichterstatterInnen agieren würden. Zwei unserer Jugendlichen und drei der anderen Klassen meldeten sich für diese Aufgabe. Nach etwas mehr als zwei Stunden waren alle ziemlich fix und foxi und hatten wir ein feines zVieri im Käfigturm verdient.

Danach ging es dann nochmals für zwei Stunden in eine erneute Fraktionssitzung. Alle Kommissionsmitglieder berichteten der Fraktion, was in ihren Kommissionen geschehen war und wir mussten uns als Fraktion entscheiden, ob wir allfällige Kommissionsgegenentwürfe annehmen oder ablehnen würden. Unsere Mitglieder in der Milchkommission hatten es schwer gehabt. Zuerst wurde die Milch-Initiative von allen anderen SchülerInnen abgelehnt. Jedoch konnten unsere Fraktionsmitglieder so gut argumentieren, dass sie es schafften, einen guten Kompromiss (Gegenvorschlag) zu erarbeiten. Unsere Mitglieder in der ÖV-Kommission („Gratis ÖV für Jugendliche unter 16 Jahren in den Sommerferien“) hatten da mehr Pech. Unser Gegenvorschlag wurde nicht angenommen und die Initiative ganz knapp zur Empfehlung angenommen. Wenn unsere kranke SchülerIn dabei gewesen wäre, hätte die Kommissionspräsidentin den Stichentscheid machen müssen und die wäre für den Gegenvorschlag gewesen. Bei der Tabak-Kommission gab es kaum Diskussionen, alle waren für die Initiative. Jetzt mussten wir auch hier entscheiden, wer für welche Initiative in der Nationalratsdebatte am nächsten Tag reden würde. Es meldeten sich für alle Initiativen 3-4 unserer Jugendlichen ausser für die Tabak-Initiative. Sie meinten, dass es nicht nötig wäre, für die Tabak-Intiative zu reden, da alle eh das Gleiche sagen, da es gar keine Gegenargumente geben würde. Diese Entscheidung respektierte ich und deswegen verzichteten wir als Partei auf das Recht in der Tabak-Debatte unsere Meinung zu sagen.

Jetzt fuhren wir wieder ins Hostel, wo wir ein feines Nachtessen bekamen und an unsere Voten arbeiten mussten. Manche unserer TeilnehmerInnen von anderen Kantonen gingen noch an die „Rendezvous am Bundesplatz“ Veranstaltung und andere blieben im Hostel, um auch mit den anderen Komissionsmitgliedern ihre Reden zu erarbeiten. Bis ca. 22.30h wurde an den 12 Voten gearbeitet.

Am Mittwoch ging’s dann früh los mit dem Frühstück und anschliessender Verschiebung nach Bern zum Bundeshaus, wo uns eine Führung erwartete. Die Jugendlichen konnten u.a. im Nationalratssaal schon mal sehen, wo sie sitzen würden (auch unsere Stimmenzählerin!) und durften ein erstes Mal hinter dem Rednerpult stehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das so sein würde am Nachmittag.

Nach der Führung hatten wir im Hostel wiederum etwas Zeit für eine kurze Fraktionssitzung, wo alle ihre Voten übten. Danach bekamen wir wieder ein leckeres Mittagessen und konnten wir uns für die Nationalratsdebatte in schicke Kleider umziehen. Kurz darauf ging es samt Gepäck zurück ins Stadtzentrum, wo wir das Gepäck im Käfigturm lagern durften und anschliessend wieder durch die Sicherheitskontrolle vom Bundeshaus gehen mussten. Diesmal konnten wir uns aber frei und ohne Begleitung im Bundeshaus bewegen, was für alle ein komisches Gefühl war. Wir nahmen im Nationalratssaal unsere Plätze ein und warteten auf den Startschuss der Debatte.

SP-Nationalrätin Priska Seiler-Graf übernahm die Rolle der Bundesrätin während unseres Spiels. Es kam eine Initiative nach der anderen an die Reihe, wobei immer zuerst die Kommissionsmitglieder, danach die Fraktionsmitglieder und zuletzt die Bundesrätin ihre Meinung dazu sagten, ehe abgestimmt wurde. Die Tabak-Initiative wurde wie erwartet einstimmig angenommen. Bei unserer Milch-Initiative wurde es dann aber spannend. Am Schluss war klar: wir hatten es geschafft, die Mehrheit für den Gegenentwurf zu gewinnen und erreichten somit bessere Löhne für Bauern und Bäuerinnen, jedoch verbunden mit besserem Tierwohl. Anschliessend war die zVieri-Pause in der Galérie des Alpes, wo wir auch auf die Eltern und Verwandten der Jugendlichen trafen, die vor Stolz auf ihre Kinder um die Wette strahlten!

Nach der Pause kam die ÖV-Initiative dran. Auch diese war spannend. Wir hatten sie als Fraktion abgelehnt und da unser Gegenvorschlag nicht angenommen worden war, gab es keine Abstimmung über einen Gegenentwurf. Mit knapper Mehrheit wurde die Initiative dann tatsächlich abgelehnt! Auch die Pfand-Initiative war spannend, da wir für den indirekten Gegenentwurf waren und nicht sicher wussten, ob wir die anderen davon hatten überzeugen können. Auch hier waren wir schliesslich zufrieden mit dem Ergebnis: die Initiative wurde deutlich abgelehnt, dafür aber der Gegenentwurf relativ knapp angenommen.

Und damit war das ganze Projekt vorbei. Wir durften vier „Fraktionssiege“ mitnehmen, was doch auch davon zeugt, dass wir gut argumentiert hatten. Aber natürlich nahmen wir noch viel mehr mit von diesem ganzen Projekt. Die Jugendlichen durften ungeheuer in ihrem Selbstbewusstsein wachsen. Während am Anfang sich fast niemand traute, vor allen am Rednerpult im Nationalratssaal zu reden, trauten sich am Schluss fast alle. Sie haben ausserdem gelernt, was es bedeutet, gut zu argumentieren und dass manchmal auch Kompromisse wichtig sind, um nicht ganz zu verlieren (wie bei der Milch-Intitiative zum Beispiel). Und am Schluss konnten sich einige in unserer Gruppe durchaus vorstellen, einmal politisch aktiv zu werden. Wer weiss, war es für einige nicht das erste und letzte Mal, dass sie hinter diesem Rednerpult standen, sondern sehen wir sie eines Tages wieder dort!

Falls sich in Zukunft wieder ein Homeschool-Elternteil dafür interessiert, eine Homeschooling-Gruppe für SpielPolitik anzumelden, kann er oder sie gerne auf mich zukommen für allerlei Tipps und Ratschläge!

P.S. Wie ihr wohl zwischen den Zeilen herauslesen konntet: wir empfehlen das Hostel77 wärmstens für Übernachtungen in der Stadt Bern! Das Team dort war super freundlich, sehr flexibel und zuvorkommend und alle Dienstleistungen waren hervorragend! Vielen Dank an sie!

3 Kommentare

  1. Herzlichen Dank für diesen spannenden Blogbeitrag! Das war ja wirklich ein ganz toller Workshop, den ihr mit den Schülern gemacht habt. Was uns nun aber brennend interessieren würde ist, wie denn die Methode der „Trichterrede“ funktioniert. Das wäre vermutlich in vielen Situationen hilfreich.

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  2. Homeschooling in der Schweiz

    Sehr interessanter Bericht, der für die hohe Qualität eurer Arbeit spricht. Konstruktive und nachhaltige Lernprozesse, ich bin beeindruckt.

    Ich bin interessiert an 2-3 Familien, die bereit sind, ihre Motivation für Homeschooling zu beschreiben. Die Gründe sind vielfältig, besonders aufzeigen möchte ich Schwachstellen der öffentlichen Schule mit den damit verbundenen Erfahrungen.

    Idee dahinter: Impulse für die öffentlichen Schulen erhalten, stärkere bildungspolitische Unterstützung von Homeschooling auslösen.

    Freundliche Grüsse

    Hans Joss

    Lit.: Joss,H., Reichenbach, E., Schule hinterlässt Spuren.

    Würde ist antastbar. 2021 Novum verlag.

    Auch als e- book erhältlich.

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