Sollte mein Kind nicht selbständiger arbeiten?

So, der Jahresbericht ist abgeschickt und das bedeutet für mich automatisch, dass ich mich langsam dem nächsten Schuljahr widme. Schnüseli kommt in die 7. Klasse. Oberstufe. Ehrlich gesagt, hätte ich nie gedacht, dass ich das Ganze auch wirklich bis zum Ende durchziehen würde. Oberstufe homeschoolen? Das konnte ich mir wirklich nicht vorstellen! Doch mittlerweile sind fünf Homeschool-Jahre vergangen und es geht so gut, dass ich es mir jetzt nicht vorstellen kann, Schnüseli in die Schule zu schicken. Sie ist richtig aufgeblüht und hat sich wunderbar entwickelt in den letzten Jahren, also machen wir weiter so. Und, hey, auch die Oberstufe ist ja keine Zauberei! Ich weiss, wir schaffen das!

Selbständiges Lernen

Ich werde einige neue Prioritäten setzen für Schnüseli für das nächste Schuljahr. Eine davon ist die vermeintliche, vermehrte „Selbständigkeit“. Natürlich macht Schnüseli bereits jetzt viel mehr selbständig als früher, doch ich möchte, dass sie langsam lernt, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich selber zu organisieren.

Was bedeutet „selbständig“?

Wenn wir an „selbständig“ denken, stellen wir uns ein Kind vor, dass alleine arbeitet und lernt – ein Kind, das an einem Schreibtisch sitzt und fleissig seine Schulaufgaben macht, so à la: „Du machst deine Aufgaben und zeigst sie mir, wenn du fertig bist.“

Doch ist es wirklich das, was ich von Schnüseli möchte? Ich bin überzeugt, dass auch Jugendliche noch gewisse Anleitung und Unterstützung brauchen. Klar, möchten sie selber auch immer selbständiger werden, doch sie befinden sich Mitten in einer sehr verwirrenden, chaotischen Phase in ihrem Leben und brauchen immer noch Struktur und unseren Einsatz (und Mamas, die vorlesen! 🙂 ). Unsere Aufgabe ist es nun, immer mehr zum ermutigenden Coach zu werden. Wenn Teenager sich in ihrer Beziehung mit uns als Eltern sicher fühlen, dann fühlen sie sich auch sicherer mit sich selber und ihrer Selbständigkeit.

Konkret bedeutet das, dass ich nicht einfach möchte, dass Schnüseli jetzt nur noch alleine und „selbständig“ arbeitet, sondern, dass ich immer noch für sie da bin während der Zeiten, in denen sie mit Schulbüchern lernt und während der Zeiten, in denen sie im ganz alltäglichen Leben lernt und wächst.

Kleine Schritte in Richtung Eigenverantwortung

1. Lehrmittel Jahresplanung

Das Erste, was wir wohl im Sommer zusammen angehen werden, ist ihre Lehrmittel für das neue Schuljahr zusammen anzuschauen. Dabei möchte ich, dass sie lernt, wie man so ein Mathe- oder Deutsch-Lehrmittel aufteilt, damit bis zum Sommer alles gemacht wurde. Somit sieht sie, wie viel sie pro Woche gemacht haben muss.

2. Interessengebiete

Dann werden wir auch zusammen den Lehrplan anschauen, damit sie sieht, an welchen Kompetenzen sie im Zyklus 3 arbeiten sollte. Auch hier kann sie anschliessend selber entscheiden, was sie wann angehen möchte. Vielleicht interessiert sie Chemie jetzt im Moment sehr, aber Informatik weniger, dann können wir Schwerpunkte setzen für die 7. Klasse und gleichzeitig im Hinterkopf haben, was in dem Fall vielleicht in der 8. Klasse eher ein Schwerpunkt sein müsste. Wir könnten auch überlegen, wie sie sich in bestimmte Interessengebiete vertiefen möchte. Lapbooks sind definitiv „out“. Aber was dann? In einem Heft? Auf einem Plakat? Ein Vortrag? Eine Powerpoint-Präsentation?

3. Externe Kurse

Es gibt im Internet tolle Online-Kurse und -Klassen, zum Beispiel von Udemy oder von Khan Academy, die ihr vielleicht auch gefallen und gut tun würden und die sie grösstenteils selbständig machen könnte. Dazu kommen natürlich Kurse an privaten Institutionen in der Wohnumgebung, wie zum Beispiel die Schule für Gestaltung.

4. Wochenplanung

Ich werde Schnüseli herausfordern, immer am Freitag Nachmittag ihre nächste Woche zu planen (unter meiner Anleitung, so lange nötig). Sie kann aufschreiben, was jede Woche getan werden muss oder sogar was sie an jedem Tag spezifisch machen möchte. Das überlasse ich ihr. Während der Woche schaue ich 2-3 Mal mit ihr zusammen, ob es mit der Wochenplanung klappt und wenn nicht, warum nicht.

4. Begleitung im Lernen

Natürlich muss Schnüseli in ihrem „selbständigen“ Lernen weiterhin begleitet werden. Sie braucht Anleitung, wie sie sich selbständiger als vorher ein gewisses Thema aneignen kann. Wie sucht man im Internet nach einer bestimmten Frage? Wie schreibt man das Gefundene am Besten auf? Wie organisiert man die Resultate am Einfachsten und Übersichtlichsten? Was fehlt noch? u.v.m. Ausserdem muss ich natürlich regelmässig das Gemachte kontrollieren, korrigieren (obwohl sie das auch immer öfter selber machen könnte…), mit ihr besprechen, damit sie von Fehlern lernen kann und damit sie mit ihrem Lernplan auf Kurs ist.

5. Längere Lernzeiten

Bis jetzt merkte ich immer deutlich, dass nach ca. 25 Minuten konzentrierter Arbeit, die Konzentration nachliess und die Kinder sich einem anderen Thema oder Fach widmen wollten. Ich denke, dies wird sich langsam ändern, je älter die Kinder werden. Ich kann mir vorstellen, dass wenn Schnüseli voll vertieft ist in einem bestimmten Thema, dass sie dann ungerne unterbrochen werden möchte. Das geht natürlich Hand in Hand mit dem selbstbestimmten „Stundenplan“, d.h. dass Schnüseli mehr und mehr selber entscheidet wann sie was wie lange machen möchte, ohne dabei gänzlich auf Mathematik oder Französisch zu verzichten! 😉

6. Selbständiges Lernen, aber nicht nur

So wie ich Schnüseli kenne, wird sie es bald lieben, ihre Arbeit in der Stille ihres eigenen Zimmers zu machen. Das ist gut so und soll sie auch machen können. Doch trotzdem soll es auch weiterhin gemeinsame Lernzeiten geben, wo sie zusammen mit ihrem Bruder Themen anschaut und diskutiert. Der Austausch untereinander und mögliche Debatten über auseinandergehende Meinungen sind nach wie vor wichtig und bereichernd!

7. Zeitmanagament und Eigenverantwortung

Ja, wir Homeschooler lieben unsere Freiheit und Flexibilität. Wir setzen oft keine Abgabefristen und müssen uns nicht an bestimmte Stundenpläne halten. Wenn wir heute etwas nicht machen, machen wir es halt morgen. Oder übermorgen. Oder halt nächste Woche! Doch das bedeutet auch, dass unsere Kinder oft sehr lange Aufgaben herauszögern, die sie lieber gar nicht tun. Doch leider funktioniert die Welt nicht so und spätestens in der Lehre werden unsere Jugendlichen das merken. Und nicht alle Jugendlichen werden automatisch selber lernen, wie sie die Zeit einteilen und sich auf eine Aufgabe konzentrieren müssen, auch wenn die Aufgabe vielleicht nicht gerade inspirierend ist. Das heisst, ich möchte Schnüseli auch im Zeitmanagement und im Durchhaltevermögen coachen. Ich weiss noch nicht genau wie, aber ich werde euch auf dem Laufenden halten.

Wenn ihr bereits Teenager homeschoolt oder damit sogar schon fertig seid, habt ihr ja vielleicht auch ein paar Tipps, die ihr unten in den Kommentaren schreiben könnt.

Ich freue mich auf die Oberstufe! Auf die Herausforderungen und auf die schönen Momente und darauf zuzusehen, wie unsere Tochter immer mehr zu einer selbstsicheren, eigenverantwortlichen, selbständigen jungen Frau wird. Und ich werde diese letzten Schuljahre mit ihr geniessen!

 

 

 

6 Kommentare

  1. Ich habe meinen ältesten Sohn 8 Jahre lang freilernen lassen. Momentan besucht er die 9. Klasse an einer Privatschule. Dies war unsere gemeinsame Entscheidung im Hinblick auf eine anschliessende Lehre. Und es war ein guter Entscheid! Er lernt dort, wie es ist, Noten zu bekommen, etwas auf einen bestimmten Termin fertig zu kriegen und längere Zeit an Themen, die ihn nicht sonderlich interessieren dran zu bleiben. Das Schuljahr ist fast beendet. Er konnte ohne grosse Mühe auf Sekundarschulniveau mithalten. Ich glaube, er ist nun gut vorbereitet auf seine baldige Lehre. Ich begleite sein Lernen aber nach wie vor. Frage ihn nach Hausaufgaben, ermahne ihn, helfe ihm, seine Lernzeit einzuteilen usw. Ich denke, das schätzt und braucht er auch jetzt noch.

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    • Danke für deinen interessanten Kommentar! Ja, ich sehe es auch so, dass wir weiterhin unterstützen und begleiten, wohl auch noch in der Lehre, aber halt anders als während der Primarschulzeit. Toll, wie dein Sohn es macht!

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  2. Vielen Dank für deinen inspirierenden Bericht. Ich starte ab diesem Sommer mit meiner Tochter die 7. Klasse im HS, Kanton Thurgau. Bis jetzt war sie in der Regelschule, was ihr sehr gefallen hat. Wir freuen uns auf die kommenden 3 Jahre zusammen. Ich selber bin Sekundarlehrerin und habe vor meinen Kindern 7 Jahre an der öffentlichen Oberstufe gearbeitet.

    Liebe Größe, Corinne

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  3. Ach ja, ich bin absolut deiner Meinung. Unsere Jugendlichen brauchen liebevolle Begleitung, Anleitung und Strukturen und vor allem eine gute Beziehung zu uns Erwachsenen, Eltern, Lerncoaches,….damit sie sich in kleinen Schritten in Richtung Selbständigkeit bewegen können. Die öffentlichen Schulen erwarten meiner Erfahrung nach in diesem Punkt einfach viel zu viel von den Kindern.

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