Homeschooling – ein Recht?

Gestern war das Thema „Homeschooling“ wieder einmal überall in den Medien zu finden. Leider war der Grund dafür ein richtiger Schock für viele Homeschool-Befürworter. Eine Basler Mutter wollte ihren Sohn aus einer echten Not heraus eine Zeitlang zu Hause unterrichten. Nachdem die Behörden ihr Anliegen abgelehnt hatten, entschied nun auch das Bundesgericht, dass sehr restriktive kantonale Regelungen zulässig sind. Hier könnt ihr den Artikel aus der NZZ lesen (es war aber auch in der Basler Zeitung, in Nau.ch und auf SRF zu finden).

Homeschooling - ein Recht

Die schweizerische Bundesverfassung statuiert mit Art. 62 eine obligatorische Unterrichtspflicht, nicht aber einen Schulbesuchszwang, wie das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist. Weiter sagt dieser Artikel, dass der Unterricht ausreichend sein müsse. Gemäss Staatsrechtsprofessor Johannes Reich ist das Elternrecht dem Staatsrecht über- und vorgeordnet. Es ist nämlich Aufgabe der Eltern, für das Wohl des Kindes zu sorgen.  Eine kantonale Vorschrift, die den Schulbesuch durch unmöglich zu erfüllende Auflagen erzwingen will, greift in dem Fall in die verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsrechte der Eltern ein, wenn die Eltern ihre Kinder „ausreichend“ durch den häuslichen Privatunterricht bilden möchten. Professor Reich befürchtet, dass dieses Urteil des Bundesgerichts auch liberale Kantone dazu veranlassen könnten, die Bestimmungen restriktiver zu gestalten, damit Homeschooling zu Hause nicht oder nur unter ganz hohen Anforderungen zugelassen wird.

Was hat der Schweizer Staat zu befürchten?

Neben der simplen Tatsache, dass mir diese Familie in Basel sehr leid tut, und ich hoffe, dass auch sie die Möglichkeit haben, zu Homeschool-Migranten zu werden, indem sie aus ihrem restriktiven Kanton wegziehen, beschäftigt mich in den letzten Tagen besonders das Folgende: Was hat der Schweizer Staat zu befürchten? Warum gehen Behörden in so vielen Kantonen einfach nicht mit mehr Verständnis auf die Anliegen der Eltern ein? Warum muss das Bundesgericht zugunsten der Behörden und gegen das Verfassungsrecht entscheiden?

Homeschooling auf der ganzen Welt legal

Gemäss Wikipedia ist Homeschooling in sehr vielen Ländern der Welt legal und wird auch in vielen Ländern aktiv praktiziert, allen voran in den englischsprachigen Ländern Australien, Kanada, Neuseeland, Südafrika, Grossbritannien, Irland und den Vereinigten Staaten. In den Vereinigten Staaten ist Homeschooling eine vollkommen akzeptierte Alternative zur Volksschule und zu Privatschulen. Es werden in diesem Land mehr als 2,5 Millionen Kinder zu Hause unterrichtet.

Auch in Europa gibt es neben Grossbritannien und Irland viele Länder, die Homeschooling erlauben, zum Beispiel in unseren Nachbarländern Österreich, Frankreich und Italien, aber auch in Spanien, Portugal, Belgien, den Niederlanden, Polen, Ungarn und in den meisten skandinavischen Ländern.

Bleibt also die Frage: was hat die Schweiz zu befürchten? Mittlerweile werden in der Schweiz ungefähr 2’500 Kinder zu Hause unterrichtet – von über einer Million schulpflichtigen Kindern! Das ist eine Nadel im Heuhaufen!

Immer die gleichen Argumente

Die top zwei Argumente gegen Homeschooling sind immer die gleichen und ich habe bereits hier und hier ausführlich darüber geschrieben:
1. Es besteht keine Garantie, dass Homeschool-Kinder das Niveau des Lehrplans einhalten können.
2. Kinder, die zu Hause unterrichtet werden, werden nicht genügend sozialisiert.

Beide Argumente sind längstens widerlegt worden, aber das wollen Zweifler und Skeptiker nicht wahrhaben. Etwas Recherchieren und Forschen und eine offene Haltung (vielleicht sogar einmal eine Homeschool-Familie persönlich kennen lernen) und siehe da, die Argumente widerstehen den Tatsachen in keinem Punkt.

Wie gesagt, über das Argument der mangelnden Sozialisierung habe ich bereits viel geschrieben. Zum Argument des mangelnden Wissenstands sage ich nur das Folgende: das Zürcher Schulinspektorat sagte im Tages Anzeiger im März selbst, dass der Wissenstand nicht das Problem sei. Im Gegenteil, Homeschool-Kinder sind oft ihren gleichaltrigen Kollegen aus der Volksschule voraus. Kein Wunder, wenn sie gemäss ihren Stärken vorangehen können und nicht auf andere warten müssen (wie das hochbegabte Kinder an einer Privatschule in diesem SRF Dok auch erklären). Und, wenn der Wissensstand tatsächlich ein Problem sein sollte, würden die Schulinspektore durch ihre regelmässigen Kontrollen ja darauf aufmerksam werden und intervenieren können und würden Homeschool-Abgänger ja Mühe haben, sich in der Berufswelt und in weiterführenden Bildungsinstitutionen zurecht zu finden. Das haben sie aber nicht und mittlerweile gibt es auch hier in der Schweiz schon eine beachtliche Anzahl Homeschool-Abgänger.

(Übrigens, der Verein Bildung zu Hause Schweiz macht derzeit eine grossumfängliche Erhebung aller Homeschool-Abgänger in der Schweiz und sucht auch weiterführende Schulen und Lehrbetriebe, die mit Homeschool-Abgänger zu tun haben, die bereit wären, einen Fragebogen über ihre Erfahrungen auszufüllen. Kontaktiert mich doch via Kontaktformular, falls ihr einen Homeschool-Abgänger habt oder beim Fragebogen mitmachen möchtet. Vielen Dank!)

Homeschooler werden von Elite Universitäten aktiv rekrutiert

Im Business Insider wurde schon vor vier Jahren ein Artikel publiziert, dass Homeschooling für viele Elite Universitäten in den Vereinigten Staaten ein echtes Kriterium zur Aufnahme an die Universität wäre. Zitat aus diesem Artikel: „The high achievement level of homeschoolers is readily recognized by recruiters from some of the best colleges in the nation,“ education expert Dr. Susan Berry recently told Alpha Omega. Weiter sagt sie: “Schools such as Massachusetts Institute of Technology, Harvard, Stanford, and Duke University all actively recruit homeschoolers.” (Übersetzung: „Die hohe Erfolgsrate von Homeschooler wird von Rekrutierern von manchen der besten Universitäten der Nation ohne weiteres erkannt,“ sagte Bildungsexpertin Dr. Susan Berry. „Schulen wie das Massachusetss Institute of Technology, Harvard, Stanford und Duke University rekrutieren alle aktiv Homeschooler.“)

Warum sollte das in der Schweiz anders sein als in den Vereinigten Staaten?

Homeschooling als Möglichkeit, Kosten zu sparen

Was hat also die Schweiz zu befürchten? Dass ihnen die Schüler davon laufen, wenn Homeschooling in jedem Kanton ohne strenge Auflagen erlaubt wäre? Dass es Mehrkosten verursachen würde, wenn mehr Sonderschulinspektoren für den Privatunterricht angestellt werden müssten, um Homeschool-Familien regelmässig zu kontrollieren? Dass es eine Zweischichtengesellschaft geben würde?

Warum fürchten sich so viele andere Länder der Welt nicht vor diesen Fragen? Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass viele Länder das Potential des Privatunterrichts erkannt haben, da dadurch auch Kosten gesenkt werden können. Ich kenne einige Familien mit ganz besonderen Kindern, sei es, dass sie hochbegabt sind oder eine Autismus-Spektrum-Diagnose haben. Diese Kinder blühen auf im Homeschooling, während die Schule sich nicht mehr um diese Kinder kümmern muss (mit Extraförderung, heilpädagogischen Stunden, Klassenhilfe, u.v.m.). Und trotzdem zahlen Homeschool-Eltern brav jedes Jahr ihre Steuern und finanzieren die Volksschule mit, auch wenn sie davon oft in keinem Masse profitieren.

Weshalb also wehren sich die Schweizer Behörden und das Schweizer Rechtssystem mehrheitlich so vehement gegen den alternativen Bildungsweg des häuslichen Privatunterrichts? Kann mir das mal jemand sagen?

 

 

 

 

 

 

11 Kommentare

  1. Danke für Deine interessanten Überlegungen.

    Es geht meiner Ansicht nach vorrangig um Erziehung und Kontrolle, die Bildung war mal das ursprüngliche (und damals sicher lobenswerte) Anliegen, sie ist heute eher zweitrangig.

    Wer die Jugend erzieht und bestimmt, womit sie sich beschäftigt, gewinnt die Kontrolle und die Macht über die Gesellschaft. Das sehen wir in Deutschland, und nicht nur dort.

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    • Das ist eine traurige Ansicht, und ich hoffe fest, dass sie so nicht stimmt, aber ich verstehe, wieso du diese Ansicht hast. Leider scheint die Wirtschaft tatsächlich über allem zu stehen in unserer industrialisierten Welt und müssen wir uns alle dem anpassen…

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  2. Mir geht andauernd die Frage durch den Kopf, WARUM versucht eine Behörde nicht mal nachzuvollziehen WIESO irgendein Elternpaar sich die Mühe machen würde, sein Kind zu homeschoolen, statt es einfach in die Schule zu schicken! WARUM gibt es so viele Kinder, die in der Schule ein Problem haben? WAS könnte die SCHULE tun, um den Druck auf den Kindern zu lindern? Wieso fragt niemand mal WARUM Eltern dies alles auf sich nehmen, auch mit den vielen hohen Extrakosten?

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  3. Hey

    ich glaube, dass es ganz viel mit Angst zu tun hat. Angst die Kontrolle abzugeben. Angst, nicht genau belegen zu können, was diese Kinder lernen. Angst vor dem Unbekannten.

    Dabei ist dies eigentlich auf einem grossen Irrtum begründet.
    Denn auch bei Volksschulkindern kann niemand garantieren, dass diese Kinder den Stoff des Lehrplans beherrschen (schliesslich gingen die meisten Analphabeten in die Schule). Ebenso gibt es keine Garantie, dass die Kinder in der Schule sozialisiert werden (auch hier gibt es genügend Beispiele von Jugendlichen, die über die Stränge schlagen, zum Teil ziemlich krass (das sind keine Homeschooler).

    Es ist also eine Angst, die nicht wirklich begründet ist, doch das sind Ängste ja sehr selten.

    Was mir Hoffnung gibt, ist dass in der Gesellschaft eine Umorientierung stattfindet. Es sind immer mehr Eltern bereit, aufzustehen und bis vor Gericht zu gehen. Es gibt immer mehr Gruppen, die ein anderes Schulsystem anstreben.
    Es ändert sich etwas. Noch nicht offiziell in der Volksschule, doch es ist spürbar, dass etwas wächst.
    Danke allen, die da mitwachsen.

    Wir sollten unser Augenmerk möglichst auf die positiven Strömungen und Entwicklungen legen, und diese unterstützen.
    Wenn wir unsere Energie gegen das Negative setzen, führen wir der Seite Energie zu.

    Ich glaube daran, dass sich was ändert.
    Ich hoffe sehr, dass es schneller geht, als wir alle denken.

    Liebe Grüsse Eva

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    • Danke, Eva, ja, es ist sicher etwas am Wachsen und Ändern! Das ist ermutigend! Und das mit der Angst, die Kontrolle abzugeben, ist sicherlich ein Grund!

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