Nun sind wir also da. Es ist nicht nur das Ende des Schuljahres, sondern auch das Ende der obligatorischen Schulzeit von Olivia (die übrigens im Blog nicht mehr „Schnüseli“ genannt werden möchte 😀 – verständlich. Ich verwende also per sofort einen neuen „Codenamen“, um ihre Privatsphäre zu schützen.).

In diesem Schuljahr hat sich viel getan für Olivia. Es ist nicht mehr alles beim Alten geblieben. Sie hat sich Ende Oktober und im November ins Zeug gelegt, um die Aufnahmeprüfung für die Schule für Gestaltung zu schaffen. Zuerst mussten einige vorgegebene Aufgaben gelöst und eingereicht werden. Als sie diese Vorrunde geschafft hatte, wurde sie zu einem Prüfungstag an der Schule eingeladen und wurde dazu aufgefordert, ihr Portfolio an diesem Tag mitzunehmen. Sie kreierte vor dem Prüfungstag noch etliche, ganz unterschiedliche Sachen, die sie in ihrem Portfolio dabei haben und zeigen wollte. Der Prüfungstag an sich ging eigentlich sehr gut, auch das „Bewerbungsgespräch“. Schliesslich bekam sie die freudige Nachricht, dass sie für den Vorkurs Kunst und Design angenommen wurde. Das war für sie schon mal eine riesige Erleichterung – jetzt wusste sie, wie es im Sommer 2022 für sie weitergehen würde.
Anschliessend versuchte sie, an verschiedenen Orten für verschiedene gestalterische Berufe zu schnuppern, was sich aber als besonders frustrierend herausstellte. Oft bekam sie vom Betrieb nicht einmal eine Antwort auf ihre Schnupperbewerbung. Das machte das Ganze noch schwieriger, da es eh schon praktisch keine Lehrbetriebe gibt, wo die kreativen Jugendlichen überhaupt schnuppern können. Sogar schon für die Schnupperbewerbung wurde übermässige Kreativität und Originalität erwartet, um überhaupt schnuppern gehen zu können. Schliesslich wurde es ihr einfach zu viel und sie verlor die Motivation, sich überhaupt noch um eine Schnupperlehre zu bemühen.
Auch die angepeilte BM-Aufnahmeprüfung war mit sehr viel Stress verbunden. Ihre grosse Prüfungsangst und Mathephobie von der ersten Klasse kamen mit aller Wucht zurück, und wir merkten schnell, dass eine Grafikfachklasse mit BM wohl eher ausserhalb von Olivias Realität lag, vor allem wegen der Aufnahmeprüfung. Frustriert und auch etwas traurig gingen wir auf unsere USA-Reise. Dort wurde Olivia zum Glück wieder ganz neu inspiriert und motiviert. Sie hörte von Freunden, dass es in den USA ziemlich einfach möglich wäre, (online) Grafikdesign zu studieren. Das öffnete uns einen neuen Horizont. Wir erkundigten uns und schon bald kam die Idee auf, dass Olivia doch einen High School Abschluss machen könnte (auch online) und danach immer noch sehen könnte, was sie denn wollte, denn auch nach einem High School Abschluss mit 18 Jahren ist der Weg über eine Berufslehre noch offen.
Ja, und schon sind wir wieder auf einem anderen Weg als die üblichen Wege. Aber Olivia braucht diese anderen, kreativen Wege, um sich zu dem entfalten zu können, wer in ihr steckt. Sie wird also ab August sowohl den Vorkurs Kunst und Design als auch das 10. High School Jahr in Angriff nehmen. Wir sind weiterhin offen für alles und schauen fortlaufend, Jahr für Jahr, was das Richtige ist für sie.
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Ein totaler Gegensatz, der nicht grösser sein könnte, stellt Yanis‘ (auch hier ein neuer „Codename“ für meinen grossen Teenie) Berufswahl dar, im Vergleich zu dem Weg seiner Schwester. Yanis konnte sich in den letzten Jahren unglaublich viel Wissen im Informatikbereich aneignen, sowohl als Talent im ICT Campus als auch im Colearning. Jetzt konnte er in diesem Schuljahr als Informatiker EFZ (Plattformentwicklung) bei einigen Firmen schnuppern (ohne Probleme – tausendmal einfacher als bei Olivia) und fiel bei diesen Firmen sofort sehr positiv auf und wurde daraufhin schon fast umworben. Er wird wohl in den nächsten Monaten in der glücklichen Lage sein, dass er seine Lieblingslehrstelle aussuchen kann. Was das dann wird, sage ich euch, wenn es definitiv ist.

Fazit: Das Leben ist nicht fair. Olivia ist im Gestalten und in der Kunst mindestens genauso talentiert wie Yanis in der Informatik. Jedoch zählt in unserer Gesellschaft Informatik mindestens tausendmal mehr als Kunst. Das begreife ich ja auch gewissermassen. Aber trotzdem tut es weh. Während Yanis aus x-Lehrbetrieben auswählen kann und überall gerne gesehen wird, hat Olivia kaum einen Lehrbetrieb in ihrem Wunschberuf und könnte sie nur in die Grafikfachklasse, wenn sie keine Prüfungsangst hätte. So sehr wie wir uns für Yanis freuen und auch stolz auf ihn sind, so sehr leiden wir mit Olivia mit. Und trotzdem sind wir auch auf sie stolz und wissen, dass sie ihren Weg machen wird, und wir freuen uns schon darauf zu sehen, wie der Weg für sie aussehen wird.