Fertig mit der obligatorischen (Home-)Schulzeit

Jedes Jahr schliessen Jugendliche ihre obligatorische (Home-)Schulzeit ab und finden kreative, interessante und spannende Anschlusslösungen. Jedes Jahr werden es mehr, da schweizweit immer mehr Kinder und Jugendliche zu Hause unterrichtet werden. So können wir immer besser beobachten, was aus diesen Homeschool-Jugendlichen wird und können anhand von vielen Beispielen zeigen, dass diese Jugendliche durchaus ihren Weg machen und nicht auf dem Sozialamt landen. In diesem Artikel erzählen vier Jugendliche über ihre individuelle Anschlusslösung.*

Weshalb und wie lange wurdet ihr zu Hause unterrichtet?

Lenja wurde nur 2 1/2 Jahre zu Hause unterrichtet. Sie war im ersten Jahr des Langzeitgymnasiums, als sie merkte, dass es ihr zu viel wurde. „Mir gefiel das System nicht mehr, dass ich einfach alles in mich hineinstopfen sollte, ohne dass ich wirklich etwas richtig lernte,“ sagt die 15-Jährige. „Meine jüngere Schwester wechselte dann zuerst ins Homeschooling und dann bin ich ihr gefolgt.“
Die fast 16-jährige Emilia wechselte in der 5. Klasse ins Homeschooling. Ihr Bruder war damals in der 1. Klasse, wo es ihm gar nicht gut ging. So entschieden sich die Eltern, ihn aus der Schule und ins Homeschooling zu nehmen. Emilia entschloss sich dann, auch zu Hause zu bleiben und zu lernen.
Liliana, 14 Jahre alt, wurde mit Ausnahme vom 2. Kindergartenjahr immer zu Hause unterrichtet. Auch bei ihr war ein Geschwister, d.h. ihre Schwester, ausschlaggebend für den Anfang des Homeschoolings. Die Eltern merkten bei Lilianas grosser Schwester, dass sie sich auseinander lebten, weil die Tochter so wenig Zeit zu Hause und so viel Zeit im Kindergarten verbrachte und das gefiel ihnen nicht, deshalb fingen sie mit dem Homeschooling an.
Der 16-jährige Nimai wurde seit der 1. Klasse zu Hause unterrichtet, in erster Linie weil die Familie viel nach Indien reiste und Homeschooling besser zu ihrem Lebensstil passte.

Wie sah das Homeschooling bei euch zu Hause aus?

Lenja wohnt in einem Kanton, wo es nicht einfach ist, die eigenen Kindern zu Hause zu unterrichten. Sie hatte eine Lehrerin, die ein paar Mal pro Woche zu ihnen nach Hause kam, um mit ihnen zu arbeiten. Nur so wurde es der Familie überhaupt erlaubt, Homeschooling zu machen. Emilia hatte immer viel Freiheit im Homeschooling und merkte dann in der Oberstufe selber, dass sie lernen musste, wenn sie etwas erreichen wollte. Ihr Ziel war die Berufsmatura-Aufnahmeprüfung und so lernte sie auch Französisch, obwohl sie diese Sprache gar nicht mochte. „Als ich dann wusste, was ich wollte, dann war ich viel eher motiviert zu lernen,“ sagt sie.

Was hat euch am besten gefallen im Homeschooling?

Emilia gibt zu, dass es zuerst eine grosse Umstellung war von der Schule zum Homeschooling. „Zuerst wurde mir immer gesagt, was ich wann zu tun hatte und jetzt konnte ich grösstenteils selber entscheiden. Das war am Anfang nicht so einfach für mich.“ Und doch merkte sie schon bald, dass sie jetzt vor allem das lernen konnte, was sie wirklich interessierte. Sie fand es super, dass sie sich in Interessensgebiete wirklich vertiefen konnte und nicht den ganzen Tag an eine bestimmte Zeit oder ein bestimmtes Fach gebunden war. „Und auch das Ausschlafen! Denn es ist ja wissenschaftlich bewiesen, dass Jugendliche viel Schlaf brauchen,“ meint sie.
Lenja mochte es sehr, dass sie sich ihre Zeit selber einteilen und entscheiden konnte, wann sie was machte. Das werde sie sicher sehr vermissen, meint sie.
Liliana findet, dass man im Homeschooling viel besser und schneller lernen kann, da die „Lehrerperson“ nur für 2-3 Kinder zuständig ist, statt für 20-25 und deshalb kann er/sie viel besser auf das einzelne Kind eingehen. „Mir hat es auch besonders gefallen, dass wir viel freier waren,“ sagt sie. „Wir gingen zum Beispiel oft ausserhalb der normalen Ferienzeiten in die Ferien. Auch konnten wir viele Ausflüge machen oder mal frei nehmen, wann es uns passte.
Auch Nimai gefiel das Unabhängigsein am besten. „Ich konnte lernen wann und wo ich wollte und musste nicht immer in der Schule sein.“

Gibt es etwas, was euch im Homeschooling nicht so gefallen hat oder war es auch mal schwierig im Homeschooling, in der Pubertät?

Emilia meint sie hätte diesbezüglich gar keine Probleme gehabt. Sie hatte es immer gut mit ihrer Mutter. Sie glaubt, dass das Homeschooling sie auch näher zu ihren Eltern gebracht hat, da sie sich jeden Tag sahen, sich viel miteinander austauschten. „Wenn ich in der Schule gewesen wäre, hätte ich ja keine Ahnung, was meine Eltern machen und wie es ihnen geht, da ich 8-9 Stunden pro Tag weg wäre.“
Auch Lenja kann sich nicht an pubertäre Probleme im Homeschooling erinnern. Sie lernte immer freiwillig, weil sie wusste, was sie erreichen wollte, und musste dazu nicht aufgefordert oder sogar gezwungen werden.
Liliana brauchte manchmal schon eine Pause von ihrer Familie und dem Zuhause. Diese fand sie indem sie nach draussen ging und etwas Zeit alleine verbrachte. Aber auch sie behauptet, dass sie immer eine gute Beziehung zu ihren Eltern hatte und dass die Pubertät da kein grosses Problem darstellte. „Wir fanden immer eine gute Lösung, damit wir auch mal etwas Zeit für uns hatten und so.“
Nimai gibt zu, dass er manchmal schon Streit hatte mit seiner Mutter. „Auch lernte ich sicher weniger Menschen kennen, als wenn ich in der Schule gewesen wäre. Ich hatte schon immer ein paar Freunde, aber manchmal wollte ich mehr,“ sagt er. „Aber es liegt sicher auch daran, dass wir viel gereist sind.“

Wie habt ihr das mit Freunden und Freundinnen gemacht?

Liliana meint auch, dass man als Homeschooler sicher weniger intensiv Kontakt zu Gleichaltrigen hat. „Das hat mir aber nicht wirklich gefehlt, aber es ist halt schon so, dass ich nicht jeden Tag mit ihnen zusammen war.“ Dafür ging Liliana in den Turnverein und ins Orchester und später auch ins Unihockey, wo sie Freunde und Freundinnen fand. Auch im Quartier hatte es viele Kinder, mit denen sie jeden Tag spielte. „Ich hatte nie zu wenig Kontakt mit Gleichaltrigen.“

Wie habt ihr euch mit der Berufswahl auseinander gesetzt?

Als Lenja noch gar keine Ahnung hatte, was sie machen wollte, ging sie mit ihrer Mutter zum Berufsinformationszentrum (BIZ). Dort kam sie mit ganz verschiedenen Berufen in Kontakt und so kamen sie schliesslich auf den Beruf als Grafikerin. Sie konnte dann einmal schnuppern und entschied sich nicht nur für diesen Beruf, sondern auch spezifisch für die Grafikfachklasse.
Emilia wusste schon länger, dass auch sie einen gestalterischen Beruf lernen wollte. Sie schaute sich verschiedene Berufe mit ihrer Mutter an und auch verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten in ihrem Kanton. Dann in der 8. Klasse kam die Idee auf, Schneiderin zu werden. Sie schaute sich dann die Modefachschule an, die ihr besonders gut gefiel („Das Haus ist so schön, überall ist es mit Stoff, Fäden, und solche Sachen dekoriert!“).
Für Nimai war es auch schon lange klar, dass er Schreiner werden wollte. Er machte dann bei drei Betrieben in der Umgebung eine Schnupperlehre und bekam die Lehre bei allen drei. „Ich konnte dann aussuchen und wählte den Betrieb aus, den mir am besten gefallen hat.“

Was werdet ihr als Nächstes machen?

Lenja geht nach der 9. Klasse in die Grafikfachklasse, wo sie zur Grafikerin EFZ ausgebildet wird. Gleichzeitig macht sie die Berufsmatura. Als Homeschoolerin hatte sie keine Berufsmatura-Empfehlung und musste somit eine Aufnahmeprüfung machen, die sie geschafft hat. „Ich habe sehr viel gelernt für die Aufnahmeprüfung,“ sagt sie. „Ich bin morgens früh aufgestanden und habe oft bis abends gelernt. Ich bin so froh, dass ich es geschafft habe!“
Emilia fängt nach der 9. Klasse ihre Lehre als Schneiderin EFZ auch in einer Fachklasse an. Auch sie musste eine BM-Aufnahmeprüfung machen, vor der sie recht Angst hatte und die auch sehr intensiv war („den ganzen Tag mit Mathe, alle drei Sprachen und dann noch eine gestalterische Prüfung“). Auch sie ist natürlich froh, dass sie die Prüfung bestanden hat. „Der Druck war schon gross, besonders auch als Homeschoolerin. Es war wie als ob ich beweisen musste, dass das Homeschooling eben doch funktioniert,“ sagt sie rückblickend.
Liliana ist die dritte, die eine Prüfung machen musste und zwar die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium. Auch sie hat diese Prüfung bestanden und geht nach der 8. Klasse ins Gymnasium. Da ihre Schwester vor zwei Jahren das Gleiche gemacht hatte, war es für Liliana etwas einfacher, den gleichen Weg einzuschlagen. „Mir war immer schon klar, dass ich gerne mal in eine Schule gehen würde, um zu schauen, wie das so ist und da ich auch keine Ahnung hatte, was ich für eine Lehre machen wollte, hat das Gymnasium für mich gepasst.“ Auch Liliana hat sich intensiv auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet und in der 8. Klasse sehr viel Mathematik, Französisch und Deutsch gelernt.
Nimai fängt an seinem 16. Geburtstag seine Lehre als Schreiner EFZ an. „Ich wollte unbedingt etwas draussen machen, am liebsten etwas mit Holz, da ich schon immer viel damit gearbeitet hatte. Ich glaube, Schreiner ist der richtige Beruf für mich.“

Hattet ihr Schwierigkeiten, als Homeschooler eine Anschlusslösung zu finden?

Neben der BM-Aufnahmeprüfung musste Lenja auch ein Aufnahmeverfahren in die Grafikfachklasse durchlaufen. „Als ich mich in der Schule vorstellen konnte, waren sie sehr interessiert daran, dass ich Homeschoolerin bin und schienen sogar erfreut darüber zu sein.“
Emilia musste drei Tage in der Modefachschule schnuppern und anschliessend gab es ein Gespräch. Dort erlebte sie schon ein paar Vorurteile gegenüber Homeschoolern. „Sie machten sich vor allem Sorgen, dass ich mich als Homeschoolerin nicht in die Klasse eingliedern könnte und dass ich die ganze Zeit Extrawünsche haben würde. Aber zum Glück konnte ich sie dann doch überzeugen und bekam ich die Lehrstelle.“
Bei Nimai gab es als Homeschooler gar keine Hindernisse. Als er sagte, dass er keine Zeugnisse hatte, war das für die Schreinerbetriebe gar kein Problem. „Auch den Multicheck wollten sie nicht. Das war ihnen total egal.“

Wie hat das Homeschooling euch für das vorbereitet, was ihr jetzt im neuen Lebensabschnitt machen werdet?

Emilia: „Ich bin mir sicher, dass ich niemals so kreativ gewesen wäre, vor allem im Gebiet der Schneiderei, wenn ich nicht zu Hause unterrichtet worden wäre.“

Welchen Rat würdet ihr anderen Jugendlichen geben, die noch Homeschooling machen?

Lenja: „Entscheidet euch für das Richtige und macht nicht einfach eine Lehre, weil ihr das halt müsst. Wählt etwas aus, was euch wirklich interessiert und arbeitet auch dafür, damit ihr es schafft!“
Liliana: „Wenn ihr noch nicht wisst, was ihr gerne lernen würdet, dann würde ich euch empfehlen, die Gymnasium Aufnahmeprüfung einfach mal zu probieren, denn man hat dort die Möglichkeit noch mehr zu lernen, neue Menschen kennen zu lernen und neue Fächer, die man bisher noch nicht hatte. Das ist sicher eine gute Wahl.“
Nimai rät Jugendlichen, einfach auszuprobieren. „Sicher braucht es für gewisse Berufe mehr als für Schreiner, aber trotzdem kann man probieren.“

*Die Interviews wurden während des Oberstufenlagers 2021 gemacht. Die Jugendlichen sind also schon seit einem Jahr aus dem Homeschooling und im neuen Lebensabschnitt dran. Ich hoffe, sie bald wieder interviewen zu können, um zu fragen, wie sie dieses erste Jahr nach dem Homeschooling erlebt haben. Auch ihnen gebührt mein grösster Dank, dass sie sich mir Red und Antwort stellten!

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